Es war einmal ein kleines Mädchen, das nicht die Spur einer Ahnung hatte, wie ihr Leben einmal aussehen würde. Hätte mir vor 12 Jahren jemand gesagt, wie mein Leben heute aussieht, hätte ich es niemals geglaubt.

Anstoß für diese Gedanken ist ein Foto, das ich kürzlich wiedergefunden habe. Durch einen bevorstehenden Umzug räume ich momentan viel um, organisiere und sortiere aus. Dabei fiel mir ein Foto in die Hände, das ich bereits vergessen habe. Wenn man dem Zeitstempel auf der Rückseite glaubt, war ich zu dem Zeitpunkt 13 Jahre alt. In diesem Jahr werde ich 26 – also ein halbes Leben später.
Auf dem Foto zu sehen sind mein damaliges Lieblingspferd Tango und ich nach einer Reitstunde im Sommer. Damals bin ich klassisch Englisch geritten, bevor ich mich wegen fragwürdiger Methoden in diesem Stall dazu entschlossen habe, mit 14 Jahren das Reiten aufzugeben. Ich wusste nicht, dass es auch anders geht, also beschloss ich, das ich nicht dazu gehören möchte. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich schließlich wieder bei Pferden gelandet bin. Wenn ich das Foto betrachte, sehe ich vor allem eins: Ein verdammt glückliches Kind.

Ist alles so gelaufen, wie ich es mir gewünscht habe?

Nein. Damals habe ich meine Zukunft mit ganz anderen Augen gesehen. Ich hatte so viele Zukunftswünsche und sie veränderten sich stündlich. Ich wollte Tierärztin werden, Tierpflegerin im Zoo, Pferdezüchterin, Schriftstellerin und irgendwann reihte sich auch der Beruf des Wildtier- und Naturfotografen in diese Wunschliste ein. Einmal wollte ich sogar Motorcross-Profi werden, obwohl ich noch niemals auf einem Motorrad gesessen habe. Irgendwann wusste ich zumindest, das Tiere eine wichtige Rolle spielen sollten – und wieso ich dann Grafiker wurde, kann ich leider kaum erklären.
Es ist okay, das nicht alles zur Realität wurde. Ich schrieb schon als Kind die Geschichten von “Bibi und Tina” weiter und erfand neue Harry Potter Bücher. Ich versuchte ein Praktikum in einer Tierklinik zu bekommen, allerdings verbat meine Schule dies in dem Alter (was mir bis heute unbegreiflich ist), also endete ich in einer Tierhandlung, was mir die Augen für den Tierschutz öffnete. Ich reiste mit 14 Jahren quer durch Deutschland nach Sachsen-Anhalt und machte ein freiwilliges Ferienpraktikum auf dem dortigen Landgestüt. Ich arbeitete außerdem ehrenamtlich auf einem Therapiehof in meiner Wohngegend.
Heute weiß ich allerdings, dass ich damit etwas getan habe, was verdammt viel wert ist: Ich habe experimentiert. Wollte mich finden – und wusste anschließend, wo ich zukünftig nicht mehr suchen brauchte.
Wenn du also nicht weißt, wohin du gehörst, erstarre nicht im Anblick der Möglichkeiten. Probiere aus und überlege, was dir daran gefiel und was nicht. Du wirst viele Stationen durchlaufen und sie werden dich formen und dafür vorbereiten, der Mensch zu werden, der du gerne sein möchtest.

Bringt so ein Wachstum Opfer mit sich?

Ich würde lügen, wenn ich sagte, es wäre nicht so. Aber die Opfer sind es wert. Besonders wichtig war mir in meiner Entwicklung immer eins: Mein Bauchgefühl. Ich bin jemand, der von Intuition getrieben wird und Entscheidungen nur trifft, wenn es sich “richtig” anfühlt. Dabei lasse ich wirtschaftliche Fakten gerne außen vor und lasse mich nicht von dem Lockmittel Geld beeindrucken. Ideen können mich schnell hinreißen und ich entwickle in kürzester Zeit eine riesige Begeisterung, was mir dabei hilft, die nötige Energie in das zu stecken, woran ich glaube. Gandhi hat es mit seiner Aussage auf den Punkt gebracht:

Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft – vielmehr aus einem unbeugsamen Willen.

Wenn du an etwas glaubst und all deine Konzentration auf dieses eine Ziel lenkst, fokussierst du alle Ressourcen auf das Erreichen diesen einen Wunsches. Das bringt einen Menschen dazu, innerhalb kürzester Zeit Berge zu bewegen. Dies half mir dabei, in nur 4 Jahren mehr zu erreichen, als andere in 10 und ließ allen Zweiflern die Kinnlade runterklappen. Es bringt einen dazu die Planung von Projekten, hinter denen man steht, innerhalb von wenigen Stunden in die Wege zu leiten und voll durchzustarten. Es bringt mich dazu, sonntags zu arbeiten und wenn es sein muss, auch mal eine Nachtschicht einzulegen. Natürlich fällt einem kein Erfolg in den Schoß. Man muss dafür arbeiten. Beispielsweise musste ich mich überwinden, das schüchterne Mädchen abzuschütteln um ein Geschäft führen zu können. Ich musste lernen, meine Künstlerseele mal zur Seite zu stellen, um eine strukturierte Buchhaltung zu führen. Ich musste Feiern absagen, um zu arbeiten. Ich musste mir viel Wissen aneignen, was für meine Existenzgründung nötig war. Ich musste mir Selbstdisziplin antrainieren, die ich vorher nicht besaß. Ich musste erkennen, was einen wirklich weiterbringt und was einen zurückhält. Das betrifft nicht nur Angewohnheiten, sondern leider auch Menschen. Es ist hart, selektiv zu sein. Aber selektiv zu sein, macht einen auch hart. Mittlerweile habe ich durch viele Rückschläge und daraus resultierenden Erkenntnissen eine kleine Gruppe von Menschen um mich, die mir den Rücken stärken, wenn ich mal wieder vergesse, was wahre Stärke bedeutet.

Wo ist das kleine Mädchen von damals jetzt?

Sie kämpft um ihren wohlverdienten Platz. Zwischen all der Buchhaltung, den Kundenmeetings, den Fotoshootings, den Reisen, den Kursen und Alltäglichkeiten muss ich manchmal ziemlich stark nach ihr suchen. Es gab eine Zeit, in der ich sie ganz verloren glaubte. Ich konnte keine klaren Entscheidungen mehr treffen und das Kreatief wurde immer mehr zu einer tiefen Schlucht, die unüberbrückbar schien. Allerdings schenkte mir eine besondere Begegnung die Erkenntnis, dass alle Antworten, die wir suchen, in uns selbst zu finden sind. Das bedeutet für mich auch, das man das Kind von damals nicht begräbt oder zurückstellt, sondern ihm Platz im neuen Leben einräumt.

Immer, wenn ich das Gefühl habe, das ich zu verbissen oder zu ernst werde, ziehe ich mein inneres Kind zu Rate. Das hält mich auf dem Boden, aber zeigt mir eine erfrischende Perspektive auf die Realität. Kinder haben die Eigenschaft, die Dinge so wunderbar unverschleiert zu sehen. Das ist der Grund, wieso mein Kleiderschrank hauptsächlich aus schwarzen Klamotten besteht, aber ich ein Einhornkuscheltier im Bett habe. Wieso ich mich für emanzipierte Frauen einsetze, aber Sex and the City gucke. Das ist der Grund, wieso ich einen großen Anker auf dem Arm, aber die Disney Pocahontas auf dem Bein tätowiert habe. Ich räume meinem inneren Kind Platz in meinem Leben ein, weil das eine nicht ohne das andere existieren könnte.

Wie wichtig ist es, im Inneren jung zu bleiben?

Das Kind in einem darf niemals sterben. Von Zeit zu Zeit muss man es zwar auf die stille Treppe ordern oder zurechtweisen, aber man darf es niemals abstoßen. Das innere Kind verkörpert deine Leidenschaft und den Spaß am Leben. Es freut sich über die kleinen Dinge im Alltag. Weißt du noch, an welchen Tagen du als Kind besonders gut geschlafen hast? Das waren die Tage, an denen du Abenteuer erlebt und die Welt vor deiner Haustür erkundet hast. Als du stundenlang im Gras gelegen hast, als du mit deinen Freunden Fangen gespielt oder das erste Mal ein Pferd gestreichelt hast.
Es liegt in unserer Hand, ob wir vergessen, was uns früher einmal glücklich gemacht hat. Es liegt an uns, ob wir ein sicheres Leben vorziehen oder weiter den Abenteuern nachjagen, die auf dieser Welt noch auf uns warten. Wir haben die Wahl – und die sollte man sich von niemandem nehmen lassen. Nicht mal von sich selbst.

Vor einem Jahr habe ich einen Artikel über einen ähnlichen Wandel verfasst, und zwar über meine fotografische Entwicklung. Darüber hinaus habe ich auch in dem CNN-Artikel über meine Berufsfindung gesprochen (Englisch).

Lass heute mal dein inneres Kind raus,
deine Carina

Share this story

COMMENTS Expand -
ADD A COMMENT

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.